Rezi: Interstellar (USA 2014)

Von Sternen und Menschen

Die ersten Trailer entzückten mich nicht. Schmieriges Familiendrama versprachen sie, das mit der Last seiner Tränen eine ambitionierte Science Fiction-Geschichte erdrücken würde.
Heraus gekommen ist allerdings eine fast unglaubliche Symbiose aus Drama und Science Fiction, ein Film, der große Probleme anspricht und wichtige Fragen stellt, über der Größe seiner Ambitionen aber nie die Charaktere und ihre Bindungen untereinander vergisst.
Die erste halbe Stunde etabliert mit geschickt gewählten, prägnanten Momenten eine enge, emotionale Beziehung zwischen dem zentralen Protagonisten, dem alleinerziehenden Vater, Ex-Astronauten und jetzigem Farmer Cooper, und seiner Tochter. Es wird deutlich und fühlbar, dass der Vater natürlich auch seinen Sohn liebt, mit der normalen elterlichen Liebe, wie sie eben sein sollte, so normal wie auch der Name des Sohnes, Tom. Seine Tochter hingegen trägt den Namen Murphy, benannt nach Murphys Gesetz, dem zufolge alles, was passieren kann, auch passieren wird. Und so außergewöhnlich wie ihr Name ist dieses Mädchen auch, das sich mit ihren Klassenkameraden anlegt, weil sie nicht an die neuen Geschichtsbücher glaubt, in denen die Leistungen der Vergangenheit geleugnet und kleingeredet werde, das in ihrem Zimmer einen Geist wahrzunehmen vermeint und die ihrem Vater in einem Maße vertraut, das ihre Enttäuschung, als Cooper die Familie verlässt, um im Weltall eine Zukunft für die dem Untergang geweihte Menschheit zu suchen, um so schmerzhafter macht.
Jede dramatische Entscheidung, die während des Raumfluges getroffen wird, muss sich vor dem Hintergrund dieser Vater-Tochter-Beziehung beurteilen lassen, jeder Fehler erscheint tragischer, als er es ohnehin schon ist, und Christopher Nolan gelingt es, diese Dramatik deutlich und fühlbar zu machen, ohne allzu tief in den Kitschtopf des Melodramas greifen zu müssen.
Die für den Regisseur typische unterkühlte Farbpalette impliziert Seriosität, die Bilder sind beeindruckend, ohne zu überwältigen, Hans Zimmer intensiviert die emotionale Erfahrung mit einem seiner besten Soundtrack, in dem vor allem ein hypnotisches Orgelthema den transportierten Gefühlen zusätzliche Wucht verleiht und zugleich Erinnerungen an das finale Crescendo im legendären „Also sprach Zarathustra“-Thema aus 2001 – A SPACE ODYSSEY anklingen lässt.
Natürlich spukt der Geist dieses Meisterwerks ohnehin des Öfteren durch INTERSTELLAR, was sich bei dieser Thematik aber auch kaum vermeiden lässt und nicht als Nachteil aufgefasst werden sollte.
So perfekt und visionär wie Kubricks Klassiker ist INTERSTELLAR dann aber nicht, dafür um einiges unterhaltsamer. Ähnlich wie Danny Boyles SUNSHINE opfert auch Christopher Nolans Film regelmäßig Glaubwürdigkeit und Plausibilität auf dem Altar der Spannung, und dass man einem Astronauten, der schon auf dem Weg in ein Wurmloch ist, tatsächlich noch einmal die Wirkungsweise eines solchen mit dem schon hundertfach gesehenen Beispiel vom Blatt Papier mit den zwei Punkten demonstrieren muss, erscheint schon etwas albern.
Die Stärken INTERSTELLARS sprechen aber ohnehin eher Herz und Sinne an, ohne dass sich das Hirn jedoch beleidigt vorkommen muss. Nolan hat mit seinem stets überzeugenden Darstellerensemble einen klugen Film produziert. Und zu entdecken gibt es viel, viel zu diskutieren, viel zu grübeln. Nachhallen werden aber vor allem die Gefühle, erinnern wird man sich an die Figuren, nicht an die Maschinen.

Rezi: Fifty Shades of Grey (USA 2015)

Das Schaf im Wolfspelz

Erinnert sich noch jemand an THE TRANSPORTER? „A deal is a deal!“, pflegte Jason Statham als titelgebender Chauffeur für jede Gelegenheit immer zu sagen, nur um dann beim ersten Anzeichen moralischer Skrupel auf den Deal zu pfeifen und dem Ruf des Gewissens zu folgen. Nun, hinsichtlich seiner Prinzipientreue ist auch Christian Grey ein Transporter. „I don’t make love! I fuck! Hard!“ Ach, wenn’s doch nur so wäre. Denn unter der aalglatten American Psycho-Gedächtnisvisage versteckt sich ein Kuschelbär, der doch nur die ödipale Mixtur aus Gespielin und Mutti benötigt, um die Maske abzusetzen und zum Schwiegermutterliebling zu mutieren. Dass der hauptberufliche Softcoresadist im Nebenamt auch noch Multimilliardär ist, macht die Figur des männlichen Protagonisten natürlich extrem menschlich, ebenso seine Vorliebe für nur die teuersten Autos, die edelsten Speisen und die ausgefallensten Hobbys.
Kein Wunder also, dass die naive Anastasia Steele sich trotz der drohenden Abgründe rettungslos in ihn verliebt. Und der schlimme Christian wird ihr nicht nur die Jungfräulichkeit rauben, nein, böse, ganz böse Dinge wird er mit ihr anstellen. Verträge wird sie unterschreiben und sich ob ihres ständigen Auf-die-Lippe-Beißens tadeln lassen müssen, und hui, ihren Hintern wird sie ein wenig versohlt bekommen. FIFTY SHADES OF GREY ist also nichts für Zartbesaitete. Besonders hart im Nehmen sollte man allerdings bezüglich der Dialoge sein, denn die werden gerade in der zweiten Filmhälfte zum wahren Martyrium.
Dabei erspart uns die Leinwandadaption des ersten Teils der Bestseller-Trilogie schon einen Gutteil der verbalen Peinlichkeiten, mit denen der Roman aufwartet. In diesem käut die Ich-Erzählerin ja ihre mäßig interessanten Befindlichkeiten in erschreckender Spracharmut wieder und wieder bis zum Überdruss. Der in eleganten Bildern, die trotz allen Hochglanzchics nicht frei von Wärme sind, erzählte Film hingegen erspart uns diesen sprachlichen Offenbarungseid und vertraut auf die Leistung seiner Hauptdarsteller, um die gegenseitige Faszination der beiden Protagonisten fassbar zu machen. Und gerade bei Anastasia Steele gelingt es ihm ausgesprochen gut. Dakota Johnson erweist sich als wahrer Glücksgriff, man kauft ihr trotz offensichtlichen guten Aussehens die naive graue Maus ab, die den Pelz des Unscheinbaren nach und nach ablegt. Ihr verlegenes Kichern, ihr Augensenken, ihre Erregung wirken natürlich und – im Rahmen des hier Möglichen – glaubwürdig. Jamie Dornan gelingt Gleiches nicht im selben Maße, um seiner von Autorin E L James – offenkundig begnadete Küchenpsychologin – grobschlächtig zusammen gezimmerten Figur Fassbarkeit und Wärme zu verleihen, hätte es aber wahrscheinlich auch eines Schauspieltitanen bedurft. Vorwiegend darf er süffisant lächeln und grinsen oder bei Bedarf die gute Anastasia strafend anschauen.
Was gibt’s noch zu erwähnen? Ach ja, den Sex. Von dem gibt’s einigen, und auch er profitiert in hohem Maße davon, dass das unbeholfene und sich ständig wiederholende Gestammel der Autorin durch gediegene Bilder und effektive Inszenierung ersetzt wurde. Im Buch ist der Sex eine spärlich variierte Abfolge von Standards, in denen Anastasia gerne im Moment höchster Erregung sprachliche Kostbarkeiten wie „It’s so erotic!“ absondert und alle wollüstigen Handgreiflichkeiten als „delicious“ und „exquisite“ beschrieben werden. I shit you not, häufiger als in diesem Werk hat man diese beiden Attribute sicher noch nirgendwo gelesen. Um so schöner, dass man bei der Verfilmung den Sex vornehmlich sieht und weniger hört, obwohl sich eine kleine Auswahl dümmlicher Plattheiten dennoch hinein verirrt haben. Man kann den mit typisch amerikanischer notgeiler Prüderie angerichteten Sexszenen eine gewisse Sinnlichkeit nicht absprechen, zumal die beiden Hauptdarsteller dem geneigten Zuschauerauge durchaus schmeicheln. Es ist ein Hollywoodfilm, Skandalöses braucht man also nicht erwarten, in vielen HBO- oder SHOWTIME-Serien geht es um einiges deftiger zur Sache. Und die vielleicht noch netteste Szene des Buches – die mit den zwei Kugeln – hat man leider ganz gestrichen. Schade eigentlich!
Angesichts der dürftigen Vorlage hätte FIFTY SHADES OF GREY das Potenzial zum ganz großen Reinfall gehabt. Dass der Film das nicht geworden ist, verdankt er den Darstellern, der effektiven, stilsicheren Inszenierung, Danny Elfmans atmosphärischem Score und den passend ausgewählten Musikstücken. Der Thomas Tallis-Choral – immerhin auch im Roman erwähnt – erhebt beispielsweise die Redroom-Szene, in der Christian Grey die Gerte sprechen lässt, fast schon in künstlerische Höhen.
Ein guter Film ist der Erotikblockbuster selbstverständlich dennoch nicht, zu langweilig sind die Charaktere, zu abgeschmackt die Story, zu dumm manche Dialogzeile, zu unehrlich die Aufarbeitung der BDSM-Materie. Wer sich für Letzteres interessiert, kann auf eine Vielzahl besserer Alternativen zurück greifen, unter denen SECRETARY mit James Spader und Maggie Gyllenhal sicher die bekannteste ist.
Wer sich aber auf eine Schmonzette mit dem gewissen Kink-Faktor einlassen möchte, kann das hier unbesorgt tun. FIFTY SHADES OF GREY ist unterhaltsam, lustig (und nicht immer unfreiwillig), niedlich, sexy, dumm und harmlos. Und ohne Hype hätte er vermutlich auch weniger Häme erfahren. Der kommerzielle Erfolg wird alle Beteiligten aber vermutlich trotz dieser Häme ruhig schlafen lassen. Ich missgönne es ihnen nicht.