Rezi: Veronica Mars (USA 2014)

Das Offensichtliche gleich zuerst: Kristen Bell ist älter geworden und mit ihr die von ihr verkörperte Titelfigur. Nun wäre das nicht prinzipiell ein Problem, im VERONICA MARS-Film stellt es aber eins dar.
Die Veronica Mars der Serie ist ein bildhübsches, gerechtigkeitsliebendes, trotz Schicksalsschlägen vor Tatendrang und Draufgängertum sprühendes Mädchen, deren optische Erscheinung wie eine körperliche Manifestation ihres Charakters wirkt: Attraktiv, agil und dank Kristen Bells expressivem Mienenspiel auch außerordentlich lebendig. Der Zuschauer verbindet äußere Erscheinung mit inneren Qualitäten zu eben genau dem, was den Charakter von Veronica Mars ausmacht.
Ein Problem der Figur war aber immer schon, dass Veronica gar nicht so sein will, wie der Zuschauer sie sehen möchte. Ihre Außenseiterrolle ist nicht Resultat eigener Entscheidungen sondern wurden ihr vom Umfeld aufgezwungen, ihre rebellische Art ist nur eine Möglichkeit, mit der veränderten gesellschaftlichen Situation umzugehen. Unter Druck erst wurde aus der oberflächlichen Oberschichten-Kuschlerin die scharfzüngige, findige Teeniedetektivin, die sich im Dienst einer höheren Gerechtigkeit über das geltende Recht regelmäßig hinwegsetzt.
Doch scheint der Charakter Veronica Mars’ weniger ein plastischer denn ein elastischer zu sein. Befreit vom gesellschaftlichen Druck formt er sich zu seiner ursprünglichen Gestalt zurück, VERONICA MARS – DER FILM beginnt.
Zehn Jahre nach dem Finale der zweiten Staffel ist Veronica Anwältin in New York und kurz davor, hochbezahlte Angestellte einer sympathischen Riesenkanzlei zu werden, die Millionklagen gegen ihre Klienten – Großkonzerne – gleich im Keim zu ersticken trachtet. Ein Job also, der Veronica Mars auf die früher von ihr verachtete andere Seite des gesellschaftlichen Spektrum führen würde, und die Ex-Detektivin, die seit den Ereignissen Ende der dritten Staffel ihre Ermittlungsarbeit völlig aufgegeben hat, ist entschlossen, ihn anzunehmen. Zur neuen gesellschaftlichen Position passt auch Veronica Mars’ Äußeres: Die schlanke Agilität wich mütterlichen Rundungen (ein wohlwollender Euphemismus für die auffälligen Reiterhosen und dicken Hüften), die ausdrucksstarken Züge der jungen Ermittlerin machten Platz für eine deutlich steifere Mimik und Maskenhaftigkeit im Gesicht, die den Charakter wie ein vierzigjähriges Trophy Wife wirken lassen.
Als die Handlung des Filmes – Veronica muss ihren ehemaligen On-Off-On-Off-Boyfriend Logan Echolls vom Mordverdacht an seiner Ehefrau befreien – die Anwältin zurück nach Neptune, Schauplatz der Serie, bringt, riskiert Veronica Mars ihren unmittelbar bevorstehenden Sprung in die obere Mittelschicht und kehrt zu ihren unfreiwilligen Wurzeln zurück. Wer möchte auch schon Veronica Mars als Unternehmensanwältin sehen. Verständlicher- aber dennoch traurigerweise kann die äußere Erscheinung Veronicas die innere Wandlung nicht nachvollziehen, resultierend in einer Wahrnehmungsdissonanz zwischen wieder sympathisch rebellischem Underdog-Gehabe und tussiger Erscheinung. Nun könnte man für dieses Erscheinungsbild einfach die Darstellerin Kristen Bell verantwortlich machen, die seit der Serie natürlich gealtert ist und einige Monate vor Drehbeginn Mutter geworden war, was nicht folgenlos für ihre Figur blieb. Leider thematisiert das Drehbuch diese Veränderungen nicht einfach, sondern versucht stattdessen, diesen Umstand konsequent zu vertuschen. Von ihren Freunden bekommt Veronica zu hören, dass sie sich überhaupt nicht verändert habe und aussähe wie früher, was sie aber deutlich nicht tut. Die Inszenierung folgt dieser Linie und versucht mittels Bildgestaltung und Ausleuchtung die körperliche Veränderung Veronica Mars’ zu verschleiern. Diese Verschleierungstaktik erzeugt ein Gefühl von eitler Unehrlichkeit, nicht folgenlos für die Gesamtwirkung des Filmes im Vergleich zur Serie. Denn obwohl Veronica in letzterer zwar mit Vehemenz der Gerechtigkeit zuliebe log und täuschte, so war ihr Charakter dabei doch immer ehrlich zu sich selbst. Vor allem aber wurde der Zuschauer ehrlich behandelt, wenn Veronica log, war das Publikum ihr Kumpane. Im Film kann man sich hingegen des Eindrucks nicht erwehren, dass auch der Zuschauer hinters Licht geführt werden soll, und das aus einem sehr oberflächlichem Grunde. Eine der größten Stärken der Serien-Veronica – Authentizität – bleibt dabei leider auf der Strecke.
Wer sich beim Lesen gerade fragt, warum verdammt nochmal bisher soviel über die Figur Veronica Mars und ihre Darstellerin und so wenig über den Rest zu lesen war, dem sei gesagt: Die Serie VERONICA MARS lebt von ihrer titelgebenden hochsympathischen und faszinierenden Protagonistin, welche wiederum von Kristen Bell derart kongenial verkörpert wurde, dass man Schwierigkeiten hat, Figur und Darstellerin klar voneinander abzugrenzen. VERONICA MARS steht und fällt mit Veronica Mars und ihrer Darstellerin, und die Hauptprobleme der Kinofortsetzung resultieren aus einem Harmonieverlust des angesprochenen Dreiklangs.
Zweitwichtigster emotionaler Anker der Serie iat Veronicas Vater Keith Mars. Der Privatdetektiv ist nicht nur unfreiwilliger Ideenstifter für das Hobby seiner Tochter, die nahezu bedingungslose Liebe und Freundschaft der beiden füreinander bildet einen soliden Felsen, der die kleine Familie in der Sturmflut aus Mord, Verrat und Intrigen überleben lässt. Ein emotionales Fundament, auf das auch der Zuschauer bauen kann bei seinem Abgleiten in die moralischen Untiefen und Abgründe von Neptunes High Society. Im Film ist dieses familiäre Band deutlich weniger präsent. Vater Keith, immer noch Privatdetektiv, wirkt nicht nur älter, sondern auch ängstlicher und weniger vital. Und bedingt durch die räumlich Trennung und Veronicas eigener Karriere sind die beiden leider auch nicht mehr das eingespielte, symbiotisch wirkende Team von früher. Klar, Vater und Tochter lieben sich noch sehr, aber die Zeiten, als man sich auch ohne Worte instinktiv verstand, sind vorbei. Ob man diese Wandlung der Beziehung filmkritisch positiv oder negativ sieht, liegt vermutlich beim Zuschauer selbst, ein wenig traurig stimmt sie aber allemal.
Verglichen mit diesen zwei gewichtigen Veränderungen, Veronicas und die ihrer Beziehung zum Vater, bewegt sich der Rest des Filmes trotz des erwartbaren Mord und Totschlags in emotional ruhigereren Gefilden. Logan Echolls, ehemaliger Bad Boy, jetziger Navy Leutnant, ist ausgeglichener, aber auch ein wenig langweiliger als einst, die restlichen Charaktere hingegen sind nur Nebenfiguren und funktionieren eher als amüsanter Fanservice – schließlich ist der Film ein von Fans finanziertes Kickstarter-Projekt – denn als handlungstreibende Elemente. Nett ist es schon, ihnen wiederzubegegnen, die eine oder andere alte Rechnung beglichen zu sehen, erzählerisch spielen sie aber kaum eine Rolle.
Keine Rolle spielen leider die noch ausstehenden Antworten auf offene Fragen der TV-Serie, die Geheimgesellschaft The Castle wird zum Beispiel gar nicht erwähnt, auch nicht die Konsequenzen der Sheriffswahl. Stattdessen wird auf einen weitesgehend eigenständigen Plot gesetzt, der zwar alte Bekannte involviert, aber auch losgelöst von der Serie funktioniert. Die Aufklärung des Mordes gestaltet sich interessant, wird jedoch sehr locker und gelegentlich unfokussiert erzählt, eben um den angesprochenen Fanservice einbinden zu können. Spannend wird’s vor dem dramatischen Finale nur sporadisch, die Noir-Atmosphäre stimmt aber genauso wie der – aus Mangel an einem besseren Begriff – Soap-Faktor.
Ein unterhaltsames Krimi-Abenteuer mit gewohnt knackigen Dialogen wartet hier durchaus auf jeden Marshmellow (Selbstbezeichnung von VERONICA MARS-Fans), aber auch die kalte Dusche der Desillusionierung. Die alte Veronica gibt’s nicht mehr, die neue muss – in kommenden Romanen und eventuellen, von den Beteiligten angepeilten Fortsetzungen – zeigen, ob sie sich ihrem alten Ich zumindest wieder annähern kann. Die Zeichen stehen nicht schlecht, denn – soviel sei gespoilert – New York wird nach dem Film wohl ohne Veronica auskommen müssen.

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